EA0112B
Pech und Schwefel – Fantasyroman Annette Eickert ISBN 9783940209542, Noel-Verlag, broschiert, 249 Seiten, € 16,90 |
Das Chaos herrscht in den Straßen von Mayonta. In einer einzigen Nacht verlieren die Zwillingsbrüder des Hohepriesters Ronor und Nomarac ihre Eltern, ihr Zuhause und ihre Identität. Von diesem Moment müssen sie sich verängstigt, hungrig und alleine durchs Leben schlagen. Dabei landen beide mitten in einen Sumpf aus Feindschaft und Machenschaften. Aber eine gute Seele – die Prostituierte Liehshy – kennt ihr Geheimnis und hilft ihnen ihr neues Leben zu akzeptieren. Doch nach Jahren lauert die Gefahr immer noch im Verborgenen, bis sie ihre Maske fallen lässt und die Zwillinge auf eine harte Probe stellt. Sie lernen was wahre Freundschaft, Liebe und Mut wirklich bedeuten.
PROLOG
Der Wind fegte über die Köpfe der unschuldigen Opfer hinweg, als würde jeden Moment ein wahres Gewitter ausbrechen. Doch das Unwetter war bereits in vollem Gange, denn nicht Regen, sondern wahre Feuersbrünste loderten innerhalb der Stadt von Mayonta. Überall auf den Straßen herrschte Chaos. Ein aufgestachelter Mob von unkontrollierbaren Männern fegte durch die Stadt am See Mezdoar und ließ seinem angestauten Hass freien Lauf. Mit Waffen in den Händen prügelten oder stachen die wütenden Raukarii auf wehrlose Bürger ein, steckten dabei Wohngebäude, Lagerhäuser und Geschäfte in Brand und riefen nach Freiheit. Freiheit von der Obrigkeit, die sie angeblich zwangen nach den Regeln des Feuergottes zu leben. Doch ihr größtes Ziel war das Anwesen des Hohepriesters Josias Anthyr und dessen Familie. Sie lebten am Stadtrand von Mayonta in einem prächtigen Anwesen aus weiß geädertem Marmor. Josias war der achtzig Jahre jüngere Bruder des mächtigst en Raukarii von Leven’rauka – des Hohepriester Ratlyr Anthyr aus der Hauptstadt Zyrakar – und beide Brüder wurden seit Jahrhunderten in ihren hohen Positionen immer geehrt und dienten vielen heranwachsenden Jugendlichen als Vorbild.
Von den Bürgern in Mayonta wurden Josias und seine Frau Seyldia, mit den beiden achtjährigen Zwillingssöhnen Nomarac und Ronor besonders geschätzt, denn viele munkelten stets im geheimen, dass die Familie Anthyr vom Feuergott Zevenaar persönlich abstammen sollte. Zudem war Josias ein guter Politiker, führte sein Regime nicht so streng nach Vorschriften wie sein Bruder in Zyrakar und war bekannt dafür, sich jungen Männern persönlich anzunehmen, die eine Laufbahn als Priester einschlagen wollten. Daher war der Tag des Chaos’ so überraschend über sie alle hereingebrochen, dass selbst die Stadtwachen gnadenlos niedergemetzelt wurden, die eigentlich Josias und seine Familie beschützen wollten. Die aufgebrachte Raukariim enge wälzte durch die blutigen Straßenzüge, durchbrach am Ende das Eingangstor von Josias Anthyrs Anwesen und tötete alles und jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Darunter seine Ehefrau Seyldia, die treuen Bediensteten und den Hohepriester selbst. Anschließend loderte das Haus lichterloh im Licht der untergehenden Sonne und der Mob feierte zufrieden seinen Sieg. Zwei Stunden später, unter einem Asche bewölkten Firmament hörte man ein Stöhnen, welches mit einem Seufzen beantwortet wurde. Es hörte sich an, als seien es Kinderstimmen. Unmittelbar unter den Trümmern eines eingestürzten Nebengebäudes regte sich Leben. „Mama?“, wisperte ein Junge leise in die Nacht hinein und hustete. „Papa?“, murmelte gleich darauf ein zweiter Junge und abermals erklang lautes Stöhnen. Plötzlich bewegte sich das Geröll, eine verkohlte Holzplatte klapperte und innerhalb der nächsten Minuten gruben sich zwei junge Raukariikinder ihren Weg aus der grausigen Schwärze unter den verbrannten Ruinen des ehemaligen Adelshauses in die Dunkelheit der angebrochenen Nacht. „Mama, wo bist du?“, jammerte der erste Junge verzweifelt und musste ständig husten. „Ronor! Ronor, komm zu mir“, rief der zweite Raukariijunge seinem fünf Minuten jüngeren Zwillingsbruder zu und kämpfte sich aus den Trümmern ins Freie. Dabei versuchte er mit wackligen Beinen aufzustehen. „Nomarac?“, fragte Ronor leise und kroch unter einer verkohlten Holzplatte hervor. Nomarac schaute sich um und als er seinen Bruder Ronor entdeckte, rannte er so schnell wie möglich zu ihm hinüber, half ihm aufstehen und dann umarmten sie sich ängstlich. Erst nach einigen Schluchzern und tiefen Seufzern lösten sie sich wieder voneinander und blickten entsetzt in das heillose Durcheinander ihres zerstörten Zuhauses. Dort, wo noch wenige Stunden zuvor ihr schützendes Elternhaus gestanden hatte, lagen nun weit verstreut die teils eingestürzten Marmormauern im zertrampelten Gras. Fenster waren eingeschlagen, hier und dort brannten noch die Reste von Möbeln oder anderen brennbaren Gegenständen. Den angrenzenden Stall und die Pferde gab es nicht mehr, denn auch er war vernichtet worden und die prachtvollen Tiere spurlos verschwunden. Das Nebengebäude, wo Nomaracs und Ronors Mutter ihre beiden Söhne vor dem Eindringen des Mobs in einem abgeschlossenen Lagerraum versteckt hatte, gab es auch nicht mehr, ebenso wenig die Unterkunft für die treuen Bediensten. „Was ist passiert?“, weinte Ronor und umklammerte mit eisernem Griff die zittrige Hand seines Zwillingsbruders. „Ich weiß es nicht“, antwortete Nomarac traurig und kämpfte gegen aufsteigende Tränen an. „Ich höre immer nur die Schreie und laute Schläge in meinem Kopf.“ „Mama? Papa?“, rief Ronor zitternd, in der Hoffnung auf eine Antwort, bis sich auch sein Bruder dem verzweifelten Rufen nach den Eltern anschloss. Über eine halbe Stunde liefen sie verzweifelt in den Ruine n auf und ab, suchten nach irgendjemanden, der noch am Leben war und ihnen sagen konnte, wo sich ihre Eltern befanden, aber sie entdeckten niemanden, sondern nur die Überreste ihres Heimes und verbrannte Leichen. Erst als Nomarac, der pragmatischere der Zwillingsbrüder sich mit traurigem Herzen innerlich eingestand, dass ihre Suche in der Nacht nichts bringen würde, und sie beide unbedingt ein wenig Ruhe brauchten, zog er Ronor mit sich, an den Rand der verbrannten Überreste. Dort, gut getarnt hinter einem blühenden Holunderbusch gingen sie in Deckung und Arm in Arm schliefen sie ein. Am frühen Morgen weckte sie eine raue Stimme, die sie sofort wachsam werden ließ. Aber sie trauten sich nicht hervorzukommen und so kauerten die beiden zitternd in ihrem Versteck auf dem Boden, spähten durch die dichten Zweige hindurch und beobachteten in gut zehn Metern Abstand mehr als zwanzig Raukarii in Lederrüstung und mit Schwertern in den Händen. Anhand ihrer Kleidung wussten Nomarac und Ronor, diese Männer gehörten zur Stadtwache, deren Emblem – eine bekannte goldene Rune in Form eines „M“, umgeben von einer lodernden Flamme – auf deren linken Brust deutlich zu erkennen war. Alle Raukarii waren typisch gekleidet und ihre roten Haare leuchteten in der Sonne, wie die orangefarbene Sonne am Horizont. Ihre bräunliche Haut, die alle Raukarii besaßen, war von Ruß verschmiert, fast jeder besaß am Körper eine inzwischen verkrustete Wunde und ihre spitz zulaufenden Ohren achteten auf jedes kleinste Geräusch. „Veuswar, sieh mal da drüben“, machte einer Soldaten auf sich aufmerksam und deutete in Richtung der schwarz gefärbten Außenfassade des zum Teil eingestürzten Adelshauses. „Dort liegt was, kommt schnell.“ Die restlichen Stadtwachen machten abrupt kehrt und eilten zu ihrem Kameraden. Denn ihre Loyalität gegenüber dem Hohepriester und seiner Familie war groß und sie hofften, wenigstens Josias noch lebend bergen zu könne n. Aus diesem Grund hatten sie sich und auch andere Überlebende des letzten Tages kurz vor Morgengrauen auf die Suche gemacht, um ihre Hilfe denen anzubieten, die hoffentlich nicht, wie viele Unschuldige tot und verbrannt, in den Trümmern begraben lagen. Veuswar, der Kommandant dieser kleinen Gruppe, kam mit schnellen Schritten zu seinem Stellvertreter Dyniren hinüber, der ihm eben noch zugerufen hatte und blieb unmittelbar vor ihm stehen. Eines von Dynirens bernsteinfarbenen Augen war mit einer provisorischen Augenbinde verbunden, während sein erschöpftes Gesicht über und über mit getrocknetem Blut und vielen kleinen Schnitten besudelt war. Veuswar selbst hatte tief eingefallene Augen, trug mehrere Verletzungen an beiden Oberarmen und hinkte leicht mit dem linken Bein. „Ich fürchte, ich habe ihn gefunden“, erklärte Dyniren leise, schluckte dabei merklich und deutete mit dem Finger zur Seite. Dort, unterhalb eines großen Geröllhaufens und verkohlten Holzbalken schaute eine verbrannte Hand heraus. „Das ist der Siegelring“, flüsterte Veuswar kaum hörbar und spürte sein Herz vor Trauer und Hoffnungslosigkeit laut in der Brust schlagen. „Los macht schon, wir müssen ihn befreien und wenn Zevenaars Segen mit uns ist, wird er noch leben.“ Ein frommer Glaube, und weil seine Untergebenen diese Meinung teilten, hievten sie mit einiger Kraftanstrengung rasch den Gesteinshaufen auf die andere Seite. Darunter kam nach nur wenigen Minuten tatsächlich der Hohepriester zum Vorschein. Josias Gesicht war durch das inzwischen erloschene Feuer entstellt. Er besaß keine Haare mehr, die Kleidung und auch der restliche Körper waren nicht mehr als ein verkohlter Leichnam, nur dessen rechte Hand mit dem goldenen Siegelring schien in der erkalteten Feuersbrunst unversehrt geblieben zu sein. Neben dem Hohepriester lagen noch weitere Tote, darunter auch dessen Ehefrau und vier nicht identifizierbare kleine Körper. „Niemand hat überlebt“ , sprach Veuswar die grausame Wahrheit mit zittriger Stimme aus und beugte sich zu den Verstorbenen hinab. Seine Männer taten es ihm nach und so verharrten sie einige Augenblicke schweigend. „Sind schon Kundschafter auf den Weg nach Zyrakar?“, wollte der Kommandant schließlich wissen und wandte sich an seinen Stellvertreter. „Bereits in der Nacht haben sich zwei Soldaten auf den Weg gemacht, und wenn uns wenigstens jetzt Glück beschert wird, müssten die schrecklichen Nachrichten spätestens morgen den Hohepriester von Zyrakar erreicht haben.“ „Wie wird Ratlyr Anthyr die Neuigkeit über Josias Tod nur verkraften?“, fragte Veuswar und schüttelte seufzend den Kopf. „Laut den Gerüchten soll es seiner Frau nicht gut gehen und jetzt starb auch noch sein Bruder samt Familie.“ „Dafür werden die Verräter büßen!“, antwortete Dyniren hasserfüllt und ballte beide Hände zu Fäusten. „Wurden schon einige der Raukarii gefangen genommen?“, erkundigte sich Veuswar neugierig und teilte innerlich die Wut seines Stellvertreters auf den aufgestachelten Mob. „Oh ja“, meinte Dyniren, hob den Kopf und zupfte sich dabei seine Augenbinde zurecht. „Sleanlor und seine Männer haben mindestens dreißig der Aufrührer aufgespürt und inzwischen ins Gefängnis gesteckt. Sie suchen weiter nach den anderen, aber meiner Meinung nach sind sie vermutlich schon geflohen.“ „Das ist gut und schlecht gleichermaßen“, nickte Veuswar und gab nebenbei seinen Soldaten die Anweisung, die Leichen aus den Trümmern zu bergen, um sie anschließend vorsichtig in die mitgebrachten Leinentücher einzuwickeln, so wie es Brauch in Leven’rauka war. Dann wandte er sich wieder an seine rechte Hand und schaute ihm seufzend ins verbliebene gesunde Auge. „Entweder sind die restlichen Verräter nach Caress oder sogar nach Deir al-Bahri geflohen. Beides Städte mit schlechtem Ruf, und wenn ich die Gelegenheit erhalte, will ich den Tod unseres Hohepriest ers rächen.“ „Deine Loyalität in allen Ehren“, versuchte Dyniren seinen Vorgesetzten und Freund zu beruhigen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir werden Ratlyr Anthyrs Urteil abwarten müssen, denn zurzeit ist Mayonta führerlos und selbst die Politiker aus dem Stadtrat wurden getötet. Aber verrate mir lieber, wieso du plötzlich so gefühlvoll bist?“ Veuswar schlug unverhofft die Hand Dynirens weg, drehte sich abrupt um und schnaufte laut. Er war plötzlich überwältigt von seinen Empfindungen und er wusste nicht, ob er auf diese Frage antworten sollte und wenn ja, was er überhaupt sagen sollte.
Annette Eickert
Annette Eickert wurde im Herbst 1978 in Worms am Rhein geboren. Auf die Mittlere Reife folgte zuerst eine erfolgreiche Ausbildung zur Arzthelferin, um schließlich nach reiflicher Überlegung eine Ausbildung zur Bürokauffrau zu absolvieren. Im Juni 2005, nach der ärztlichen Diagnose Multiple Sklerose, kam die Wendung in ihrem Leben. Inspiriert von vielen Fantasybüchern, erschuf sie ihre eigene Fantasywelt – und seitdem ist das Schreiben ihre größte Leidenschaft.
Zurzeit schreibt sie an weiteren Manuskripten.
Von Annette Eickert