Episoden Teil 2

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weinhartEpisoden Teil 2
– Erlebtes und Erdachtes
Anne Weinhart
ISBN 9783868507003, Tredition, Taschenbuch, 120 Seiten, € 10,49

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Episoden, die kurzweilig und unterhaltsam sind, die kurzweilig Zeit vertreiben und an Erinnerungen anknüpfen, die jeder haben könnte.

 

 

 

 

Der Künstler und die Farben

Im Leben eines jeden Künstlers gibt es verschiedene Perioden. Das wurde mir bei Picasso am deutlichsten. In St. Petersburg konnte ich vor vielen Jahren die Kunstwerke aus der blauen Periode bestaunen. Wenn ich behaupten würde, sie hätten mir gefallen, würde ich lügen. Ein bisschen veräppelt kam ich mir schon vor. Kinder malen ähnlich, dachte ich, wenn sie noch unverdorben sind vom Geschmack der Kunstwelt im Allgemeinen und dem der Kunstkritiker im Besonderen.
Nun, die bildhauerischen Arbeiten meines Mannes schreien geradezu nach Farbe.
Allerdings behauptet er, von Farbgebung keine Ahnung zu haben. Er stellt seine fertigen Objekte vor mich hin und sagt:
“Für die Farben bist du zuständig“ ,
und dann sitze ich und grüble, was wozu passt. Aber offenbar befinde ich mich noch immer in der dunkelroten Periode, denn ich komme immer wieder auf die Kombination dunkelrot/ schwarz zurück. Für meinen Geschmack fordern die Formen seiner Arbeiten diese Farben geradezu heraus.
In letzter Zeit protestiert mein Mann.
Er möchte andere Farben sehen, kräftige gelb-orange Töne mit irgend einer anderen Farbe kombiniert. Für mich passt dazu ein warmes braun, aber das ist ihm zu fad. Mag sein, dass mir da meine Erziehung ein Bein stellt.
Meine Mutter sagte immer: „Ton in Ton ist am vornehmsten.“
Das sehe ich auch heute noch so. Schrille Gegensätze sind mir zuwider.
Aber wenn es ihm denn Freude macht, orange mit blau, rot mit lila und grün mit gelb zu kombinieren habe ich nichts dagegen. Er ist der Künstler, und wenn seine Schaffensperiode jetzt in eine andere Farbphase eingetreten ist, dann muss er diesem Drang nachgeben.
Darüber kann man mit mir nicht streiten. Das Ergebnis allerdings muss mir auch nicht gefallen.
In letzter Zeit ruhte sein Schaffen eine Weile. Es war zu kalt im Atelier, aber er saß über Skizzen und Zeichnungen für neue Arbeiten, die er in Angriff nehmen wollte, wenn die ganz kalten Tage vorüber sein würden.
Jetzt ist es soweit.
Er besorgte sich neue Beizen.
Ich habe nicht nach den Farben gefragt.
Aus dem Keller höre ich die Geräusche der Maschinen, das Feilen und Schleifen.
Wenn ich ihn zum Essen rufe, sehe ich in den Bündchen seiner Jacke den Staub, der dabei entsteht. Am Abend stehen die neuen Objekte vor mir auf dem Tisch und warten auf meine Beurteilung.
„Schön, wie immer“, kann ich nur sagen.
„Aber die Farben suche ich diesmal selber aus,“ sagt mein Mann.
„Aber natürlich! Ich mische mich nicht ein. Du bist der Künstler.“
Während ich damit beschäftigt war, das Mittagessen herzurichten, kam der Künstler aus dem Atelier herauf, um seine Beizen anzusetzen.
Er braucht dazu heißes Wasser, leere Marmeladengläser, ein Stäbchen zum rühren, eventuell einen Schuss Essig, und das gibt es eben nur in der Küche.
Ich habe mich nicht interessiert gezeigt, welche Periode angebrochen ist, aber eine Ahnung habe ich schon. –
Der Stiel eines meiner Quirle ist lila!

Anne Weinhart

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Von Anne Weinhart