Erst Senkrechtstart, dann Schleudersitz

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reydaErst Senkrechtstart, dann Schleudersitz
– Ein TORNADO Pilot: Zum Abschuss freigegeben
Florian Reyda
ISBN 9783939829119, Ratio Books, kartoniert, 338 Seiten, € 19,80

reydaFast jeder Junge möchte irgendwann Polizist, Fußballer, Rennfahrer oder Pilot werden. So auch Flo Reyda. Er wollte von Kindesbeinen an nur ein Flugzeug steuern – und hat es geschafft! Er entschloss er sich, zur Bundeswehr zu gehen und all sein Engagement in die Karriere als Top Gun-Pilot zu legen.

Erst Eignungstests, dann Auswahlverfahren: Purer Stress und anspruchsvolle Prüfungen. Der Erfolg: Eine Ausbildung zum TORNADO-Piloten. Danach gab es für ihn nur einen Fokus: Keiner sollte ihm Steine in den Weg legen – ihm den begehrten Platz im Cockpit des Kampfflugzeugs streitig machen können.

Flo hat die Erfolgsleiter bestiegen. Leider musste er bald erkennen, dass sich einer, der es bis an die Spitze geschafft hat, nicht nur Freunde macht. Kameraden, die nicht so leistungsstark waren, fühlten sich übergangen und kompensierten ihre Niederlagen mit Schikanen und Diskriminierungen. Vorgesetzte, denen Flo Reydas Erfolgsgeschichte ein Dorn im Auge war, schlossen sich an und wurden zuletzt sogar aktive Drahtzieher.

Erst als sich private Lebensentwürfe als Fehlentscheidungen herausstellten, zeigten sich Angriffsflächen. Sie wurden ausgenutzt, um den Vorzeige-Piloten zu entzaubern. Und was folgte war der subversive Versuch, einen Team-Player, dem man sich nicht gewachsen fühlte, aus der Gemeinschaft zu drängen. Was mit scheinbar konstruktiver Kritik begann, wuchs sich systematisch aus.

Doch von Mobbing durfte nicht gesprochen werden, da es diese Form der Diskriminierung bei der Bundeswehr offiziell nicht gab. Flo Reyda musste sich als Betroffener gegen etwas wehren, was keiner wahrhaben wollte.

Durch einen Scheidungskrieg an den Rand seiner psychischen und physischen Kraft gebracht, half ihm nur sein übermenschlicher Wille, sich den Tatsachen zu stellen und sich tapfer zu wehren. Wie Flo Reyda diese intensiven Jahre im und ausserhalb des Cockpits erlebt hat, schildert er teilweise hoch emotional.

Wer bereit ist, das Bild der Bundeswehr, das in der Öffentlichkeit bekannt ist, aus einem neuen und anderen Blickwinkel zu sehen – wer sich nicht vorstellen kann, dass aus einem „harten Held“ ein „Opfer“ wurde – und wer erleben möchte, was es bedeutet, ein Kampfjet-Pilot zu sein, dem wird die Lektüre dieses Buches spannende Unterhaltung liefern.

Die wollen mich nur nicht, war ich mir sicher! Und was jetzt? Mein Vater kam auf eine Idee. Schlug vor, zur Bundeswehr zu gehen. Zum Bund? Gerade erst hatte ich meinen dritten Rückstellungsantrag für die Einberufung zum Wehrdienst zurückgeschickt. So musste ich nicht gleich nach dem Abitur den Wehrdienst antreten. Denn, wie bereits während meiner Schulzeit, wollte ich nach dem Ende meiner Schulzeit für eine Zeit zu meiner Cousine in die USA fliegen. Der Bund schickte mir schon zum dritten Mal eine Einberufung. Die Musterung hatte ich vor einem mit Eins bestanden. Bestimmt nur deshalb waren die so interessiert. Ich konnte mir wirklich keine Karriere beim Bund vorstellen. Dachte dennoch einige Tage angestrengt über meines Vaters Vorschlag nach. Dann schickte ich eine Anfrage für einen Beratungstermin an das Kreiswehrersatzamt. Hier kam die Antwort sehr schnell, keine drei Wochen später hatte ich einen Termin bei dem zuständigen Herrn. Und den vergesse ich nie. Kaum war ich in einem Komplex großer alter Backsteingebäude, fiel mir eine Horde uniformierter Jungen auf. Nur wenig älter als ich. Auf meine Frage nach dem Weg bekam ich eine knappe, dafür umso lautere Antwort. Da war ich spätestens wach, gerade mal 07:15 Uhr. Im dem für mich zuständigen Büro saß ein gefühlt mindestens 50 Jahre älterer Mann mit hellweißem Vollbart, freundlich lächelnd. Ich war aufgeregt. Es verging keine Minute, da fragte er konkret nach meinem Berufsziel. Fließband Bundeswehr eben. Nur keine Zeit verlieren. Ich antwortete zu meiner eigenen Überraschung zielstrebig und genau so, wie ich es mir minutenlang im Flur vorgesagt hatte: „Na, Pilot eben!“ Er schaute mich an, grinste. „Ja, Sie müssen mir das schon genauer sagen. Wollen Sie Transall fliegen, oder Hubschrauber, oder was wollen Sie?“ Erst jetzt fiel mir auf, wie wenig ich eigentlich darüber wusste. Wollte ich doch ohnehin immer zur Lufthansa. Schicke Pilotenuniformen tragen. In der Welt rum reisen. Ein richtiger Käpt‘n sein! Woher sollte ich wissen, was ich beim Bund fliegen will? Darüber hatte ich mir wirklich keine Gedanken gemacht. Selbst geflogen war ich auch noch nie. „Na ja, diese Jets halt und so“, platzte es wenig souverän aus mir heraus. Das schien lustig zu sein. Denn ich sah nur noch einen weißen lachenden Bart. Der lachte immer lauter, sodass sogar ein junger Mann in Uniform durch die teilweise geöffnete Türe fragend hereinschaute. Ich wurde rot. Die Antwort kam prompt und ironisch: „Wissen Sie eigentlich, wie viele in Ihrem Alter den Wunsch haben? Nein? Ich werde es Ihnen sagen. Jedes Jahr bewerben sich mindestens 15.000. Und alle wollen Düsenjäger fliegen. Glauben Sie etwa, Sie schaffen das?“ Nun, dachte ich, warum wäre ich wohl sonst hier. Antwortete dieses Mal souveräner: „Na klar, genau das denke ich!“ Nicht weiter zögernd gab mir der Herr einen zweifachen Bewerbungsbogen und einen Haufen Info-Broschüren über den Berufsweg. Sagte, dass ich die Bewerbung schnell zu Hause ausfüllen, dann wieder bei ihm abgeben sollte. Zweifach natürlich. Das Ende der Bewerbungsfrist wäre schon bald. So könnte er sie noch mit bearbeiten. Dann wünschte er mir einen schönen Tag und zeigte eindeutig auf die Tür. Für Fragen blieb keine Zeit. Zu Hause füllte ich alles aus und schickte es zurück. Noch einmal wollte ich da nicht hin gehen. Und tatsächlich: Es dauerte keine vier Woche n und ich hielt einen Vorstellungstermin bei der Offizierbewerberprüfzentrale (OPZ) in Köln in den Händen.

Halt: Offizierprüfung? Wieso denn das? Was mir der weiße Bart nämlich nicht gesagt hatte: Um Kampfflugzeuge fliegen zu dürfen, muss man die Laufbahn zum Offizier einschlagen. Ich dachte, man müsste nur Offizier werden, um als Waffensystemoffizier, also als Navigator im hinteren Cockpit des Kampfjets, eingesetzt zu werden? Erkannte man ja schon am Wort, war ich mir recht sicher. Falsch! Auch der Strahlflugzeugführer muss sich durch eine Offizierausbildung quälen, um dann später in die fliegerische Ausbildung gehen zu dürfen. Das erfuhr ich jetzt, mal so ganz nebenbei. Na ja, schoss mir durch den Kopf, das werde ich auch noch schaffen. Hatte ich doch bisher immer das geschafft, was ich mir vorgenommen hatte. Warum nicht auch Offizier beim Bund? Meine Freunde und Mitschüler fanden das jedoch eher amüsant. Ich? Ein Offizier! Pah!

Kaum in Schongau angekommen, rannten wir alle wie die Bekloppten. Hier bewegte sich jeder nur im Laufschritt, angefeuert von genügend Ausbildern. Fünf harte Tage lagen jetzt vor mir. Ich war angespannt, mir war bereits kalt. Schnee. Wo ich hinsah, nur Schnee. Man zeigte uns das für vier Mann gebaute Tipi. Eine spartanische, zeltähnliche Behausung mit kleiner zentraler Feuerstelle. Zum Trocknen der nassen Klamotten und zum Essen machen. Außer unserem militärischen Gepäck durften wir nichts Persönliches mitnehmen. Das wurde noch kurz vor Abreise genau überprüft. Rucksack von der Schulter, alles raus. Wir waren echt nur im Laufschritt unterwegs. Zeit gab es, außer zum Feuerholz sammeln, keine. Und das Feuer durfte auf keinen Fall ausgehen. Zumindest nicht, solange wir da waren. Jede Tipi-Gruppe stellte also im Wechsel jemanden ab zum Holz suchen und nachlegen. Hatten wir anfänglich lange genug mit Magnesium und Feuerstein zu kämpfen gehabt, um es überhaupt in Gang zu bringen. Jetzt nur nicht ausgehen lassen! Wo sollten wir sonst unsere Kleidung trocknen, ein kleines Süppchen aus selbst gesammelten Wurzeln brühen?

Im Moment des nahen Erfrierungstodes bedeutete jede Minute eine kleine Ewigkeit. Immer und immer wieder musste man sich zusammenreißen, sich selbst Mut machen. Getreu dem Motto: Ich will Offizier werden, meinem Land treu dienen. Ich will anderen ein Vorbild sein, und: Ja, genau! Ich will Pilot werden! Genau das will ich eigentlich! Nicht im Wald sitzen und einen eben getöteten Fisch in Klopapier eingewickelt über ein stinkendes Feuer halten. Dieses „Ich will“ konnte ich nicht mehr hören. So steht es an jeder Ecke auf dem Gelände der Offizierschule. Immer groß geschrieben, auf auffällig hässlichem, blauem Untergrund. Damit es ja keiner übersieht. Wahrscheinlich zur stetigen Erinnerung an den Sinn der ganz stumpfsinnigen Ausbildung. Es soll einem immer wieder ins Gesicht springen. Sich einprägen, für immer im Hirn festsetzen. Und das tat es! „Ich will!“ Ein deutscher Offizier hat es in sich aufzunehmen und danach zu leben, bläute es uns der Inspektionschef bereits am ersten Tag mit der Begrüßung ein. Immer wieder bekamen wir es zu hören. Ich will. Mir wird schlecht, wenn ich es heute höre. Trotzdem dachte ich damals genau an diesen Satz. Hier in Schongau. Und wer weiß, vielleicht half es mir ja sogar ein wenig mit der Hilflosigkeit meiner Situation fertig zu werden?

Wir fuhren mit dem Bus eine Stunde lang durch die verschneite Landschaft. Angekommen, eröffnete sich mir eine gut 40 Meter hohe senkrechte Wand, an der wir uns abseilen sollten. Von hinten heraufgeklettert zeigte uns ein kerniger Fallschirmjäger, sicherlich einer der härtesten Ausbilder der Welt, notwendige Handgriffe, um heil wieder runterzukommen. Dülfer-Sitz oder so, hieß das. Gurtzeug umgeschnallt, Handschuhe an, Helm auf. Schon ging es bergab. Die anderen, gerade noch so von oben sichtbar, machten Fotos mit der Kamera des Hörsaalleiters, grölten lautstark. Es schien, als machten sich viele damit ihrem Frust der letzten Tage Luft. Das machte echt Spaß.

Ein Buch, entstanden aus den täglichen Aufzeichnungen eines echten Kampfpiloten der Bundeswehr. Interessant, verwirrend und berührend zugleich. Eine Erfolgsstory und ein Krimi. Eine Biographie, Dokumentation und Roman.

Die harte Ausbildung zum Jet-Piloten, tägliche Einsätze im Überschall-Jet, die Betroffenheit eines Mobbing-Opfers, der Weg aus der persönlichen und beruflichen Isolation bis zur Kampfansage oder einfach nur die enorme innere Überzeugung, dass persönliches Erleben stark machen kann, um anderen Menschen Bewusstsein und Hilfe zu geben, das alles schildert Flo Reyda in diesem Buch.

Flo möchte nicht das Bild zerstören, dass Tom Cruise legendär in Top Gun gezeichnet hat und er möchte auch nicht diejenigen schuldig sprechen, die ihn zum Opfer gemacht haben. Doch er will deutlich machen, dass es Mobbing bei der Bundeswehr gibt. Und schließlich will er allen Menschen Mut machen, die Ähnliches erlebt haben.

Ein Glossar am Ende des Buches hilft, die ganz eigene Sprache der Bundeswehr und der Flieger besser zu verstehen.

Es lohnt sich sehr, Zeit zum Lesen dieses Buches zu investieren.
Rezensent: Frau Mratzek, Januar 2010

reydaFlorian Reyda

Männlich – Ende der 60er Jahre geboren – Abitur – Berufsoffizier der Luftwaffe – TORNADO-Pilot – ca. 4.000 Flugstunden

Zahlreiche Auslandsaufenthalte während Ausbildung, Übung und Einsatz

Verheiratet – 2 Kinder

Pensionär mit 41 Jahren

Verkehrsflugzeugführer – Fluglehrer

Von Florian Reyda