Euleborn – verhängnisvolle Neugier

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eulebornEuleborn – verhängnisvolle Neugier
– Fantasy
Petra Starosky
ISBN 9783940209504, Noel-Verlag, Taschenbuch, 170 Seiten, € 14,90

eulebornLicht geistert durch die verlassene Burg Euleborn und versetzt die Bewohner des kleinen Dorfes im schlesischen Eulengebirge in helle Aufregung. Wie aus alten Legenden überliefert, wünscht auch die neue geheimnisvolle Burgherrin sechs Jungfrauen des Dorfes in ihre Dienste zu nehmen.
Sophie, ein ebenso lebenslustiges wie furchtloses Mädchen, ist tief enttäuscht, dass sie nicht zu den Auserwählten gehört. Neugier und Neid nagen ständig an ihr, bis sie den verhängnisvollen Entschluss fasst, sich eigenmächtig in die Burg einzuschleichen. Begleitet von schauerlichem Wolfsgeheul dringt sie bei Sonnenuntergang in das alte Gemäuer ein und muss Zeuge einer tödlich-erotischen Zeremonie zur Erweckung neuer Vampire werden. Auf diese Art gräflichen Nachwuchses war Sophie nicht vorbereitet. Von Entsetzen gepackt, will sie nur noch diesem Alptraum entfliehen. Weit kommt sie allerdings nicht. Jungvampir Frederik erwischt sie kurz vor dem rettenden Turm. Er findet Gefallen an dem verängstigten Mädchen und schleppt sie als sein Liebesspielzeug in ein abgelegenes Gemach. Mit stürmischer Leidenschaft bringt er in Sophie die Blume der Lust zum Blühen. Und dieses Schäferstündchen bleibt nicht folgenlos …

„Ungewöhnlich viele Wölfe streunen in den Wäldern umher. Beim Frantek haben sie zwei Schafe gerissen.“
„Tja, da sollten wir wohl mal wieder auf Wolfsjagd gehen, bevor sie im Winter ins Dorf einfallen und noch mehr von unserem Vieh holen.“
In diesem Punkt waren sich die Männer einig. Das schaurige Geheul erklang seit einiger Zeit fast jede Nacht und beunruhigte uns.
„Und der alte Graf soll tatsächlich wieder auf die Burg zurückgekehrt sein.“
„Das kann nicht sein, der ist seit fast sechzig Jahren weg, und damals soll er schon ganz schön alt gewesen sein. Muss wohl sein Sohn oder Enkel sein“, wusste der Wirt zu verbessern.
„Wenn er nicht gerade wieder Jungfrauen vernaschen will, soll’s mir recht sein“, brummte daraufhin der alte Janek ohne seine erloschene Pfeife aus dem Mund zu nehmen. Er spielte damit auf eine dieser alten Überlieferungen an, nach der der alte Graf immer wieder nach Jungfrauen aus dem Dorf verlangt haben soll.

Ein gutgekleideter Gast, der am Nachmittag im Wirtshaus Quartier bezogen hatte, mischte sich in das Gespräch der Dörfler ein. „Ich hörte, es soll eine Gräfin sein, aus Dresden stammend und eine Nachfahrin des alten Grafen, die sich wegen einer Familientragödie in die Einsamkeit der Berge flüchtet.“
„Auch gut.“
„Sie wird doch bestimmt was zu Essen und vielleicht auch Küchenkräfte und Dienerschaft brauchen.“
„Und Brennholz.“
„Bestimmt. Da oben in den kalten Mauern möchte ich nicht den Winter ausharren müssen. Muss doch lausig kalt sein.“
Der Dorfälteste sinnierte, ob er mit einigen weiteren Bewohnern bei der neuen Herrin vorstellig werden sollte, um die Dienste des Dorfes anzubieten und ergänzte: „Bevor sie sich Fremde auf die Burg holt.“
„Richtig, schließlich steht es uns zu“, unterstützten die Männer seine Überlegungen.
Alsbald einigten sie sich, dass der Dorfälteste und der Herr Pfarrer am Sonntag nach dem Gottesdienst der Gräfin ihre Aufwartung machen sollten.

Die Frauen kramten die alten Legenden wieder hervor und flüsterten hinter vorgehaltener Hand. Jede wusste etwas anderes zu berichten.
Meine Schwester Theresia, zwei Jahre älter als ich, und ihre Freundinnen wollten mehr über die mysteriösen Ammenmärchen erfahren.
„Nur die uralte Muhme an der Bergwiese kennt noch alle alten Geschichten.“
„Und geschwätzig ist sie außerdem“, lachten die Mädchen und ermunterten sich gegenseitig, an diesem sonnigen Nachmittag hinüber zu laufen, um der Alten die Geheimnisse zu entlocken. Von Natur aus neugieriger als gut für mich war, schloss ich mich ihnen an.

Ihr Häuschen lag am Ende des Dorfes. Ein schmaler Weg schlängelte sich wie verschämt durch die Wiesen, bevor er von dichten Hecken gesäumt im scheinbar undurchdringlichen Wald verschwand. Nur selten benutzte ein Dorfbewohner diesen düsteren Weg, der ebenso wie die etwas östlicher gelegene Straße zur Euleborn hinauf führen sollte. Un-heimliche Geschichten rankten sich auch um diesen Pfad, genau wie um die alte Burg, die dunkel und drohend über dem Dorf aufragte.
Zahnlos und den Blick abwesend in die Ferne über den dichten Tann zu den kahlen Bergspitzen gerichtet, hockte sie auf einem Schemel neben der Haustür ihrer windschiefen Kate.
Kichernd setzten wir uns zu Füßen der alten Muhme.
„Muhme, welches schreckliche Geheimnis verbirgt die Euleborn, warum sind im Dorf alle so aufgeregt?“, drängten wir die Alte, die uns schon früher mit vielen schaurigen Geschichten das Gruseln gelehrt hatte.
Ihr Blick schien aus weiter Ferne zurückzukehren. Erstaunt sah sie uns an, als wenn sie erst jetzt unsere Anwesenheit bemerkt hätte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr runzliges Gesicht.
„Kinder, könnt ihr nicht einer alten Frau ein wenig Frieden und Ruhe in der letzten Wärme des Lebens gönnen? Bald schon wird großes Unglück über uns hereinbrechen. Geht lieber und genießt eure Unschuld, solange ihr sie noch habt“, orakelte sie.
Natürlich gingen wir nicht, sondern schmeichelten ihr wortreich, um sie zum Reden zu bewegen. Eine Weile zierte sie sich noch, blickte uns nacheinander aufmerksam an.
Schließlich nickte sie. „Nun gut, vielleicht ist es wirklich besser, ihr erinnert euch der alten Sagen. Sie sind bei weitem nicht so weit hergeholt wie euch eure Eltern glauben machen. In jeder Überlieferung steckt ein Kern Wahrheit, auch wenn er noch so unwahrscheinlich anmutet.“

Wieder schweiften ihre müden Augen hinauf zur Burg. „Seit vielen hundert Jahren thront sie dort oben auf dem Felsvorsprung. Meine Großmutter erinnerte sich aus ihrer Jugend an rauschende Feste der Grafenfamilie. Prächtige Kutschen fuhren den schmalen Fahrweg hinauf und reisten erst Tage später wieder ab. Dann leuchteten alle Fensteröffnungen vom hellen Lichterschein. Spielleute, Gaukler und anderes fahrendes Volk belustigten die Gesellschaften. Oft konnte man ihre fremdländische Musik bis unten im Dorf hören. Fässer mit Bier und Wein wurden über die Berge zur Burg gekarrt. Die Händler blieben oft eine Nacht in unserem Kretscham. Und fast immer konnte der Wirt den Händlern ein Fässchen der unbekannten Köstlichkeiten abluchsen. So hatten die Mannsbilder auch stets einen Grund zum Feiern.
Zahllose Schweine, Rinder und Hühner forderte der Graf zu jedem Gelage. Erfreulicherweise zahlte er sogar dafür.
Die Bauern brachten ihre Waren immer pünktlich zu Sonnenuntergang an das Burgtor. Ein mürrischer Diener lenkte die Wagen eigenhändig in den Burghof, um sie kurz darauf entladen zurückzubringen. Keiner der Bauern hat meines Wissens je einen Fuß über die Zugbrücke gesetzt. Eine beklemmende Kälte soll ihnen aus dem Tor entgegengeweht, wie eisige Finger über ihre Gesichter gestrichen sein und ihre Lebensgeister gelähmt haben. Selbst die Pferde und Ochsen, die die Wagen in den Hof ziehen mussten, scheuten mehr als einmal vor dem Tor und konnten nur mit Schlägen hineingetrieben werden.
Manch einer berichtete von schauerlichen Seufzen und Schluchzen hinter den dicken Mauern, andere von grausigem Gelächter, das im Inneren der Burg widerhallte. Zuckender Feuerschein tanzte über der Burg, wie von einem riesigen Höllenfeuer. Die Eiseskälte und das Flammenspiel gebaren unglaublichste Gerüchte. Hinter vorgehaltener Hand flüsterten viele von wilden Orgien mit Teufeln und Dämonen.
Jeder war froh, wenn er seinen Wagen zurück erhielt und schleunigst der Burg den Rücken kehren konnte.
Die fürstliche Entlohnung des Grafen ließen sich die Bauern jedoch nicht entgehen und nahmen die kurze Zeit des gespenstigen Wartens in Kauf.
So lebte es sich nicht schlecht hier, der Graf sicherte uns einen bescheidenen Wohlstand, so dass sich niemand über eigenartige Wünsche des Grafen wunderte oder gar zu beklagen wagte.
Der seltsamste Anspruch erschien uns, dass an jedem ersten Vollmond des neuen Jahres eine Jungfrau des Dorfes zur Burg hinauf gebracht werden sollte. Es galt als eine große Ehre für die Familie, wenn die Wahl auf eine ihrer Töchter fiel. Man ging davon aus, dass die Gräfin eine neue Zofe verlangte. Mit einem eigenen Gottesdienst segnete der Pfarrer die Auserwählte und ermahnte sie zu Gehorsam gegenüber der gräflichen Familie und Gott, bevor sie üblicherweise von ihrem Vater und dem Pfarrer bei Einbruch der Dämmerung bis zur Burg begleitet wurde. Die letzten Schritte über den tiefen Graben musste sie allein ihrer ungewissen Aufgabe entgegen gehen. Trotz der ihnen erwiesenen Ehre ließen viele Eltern ihre Töchter nur schweren Herzens ziehen, ward doch keines der Mädchen je wieder gesehen, ihr Schicksal blieb uns verborgen. Bis heute weiß niemand mit Bestimmtheit zu sagen, wohin ihr Weg sie geführt haben mochte.
Diese Tradition setzte sich bis zum mysteriösen Verschwinden der Grafenfamilie – damals war ich ein kleines Kind von kaum zwei Sommern – fort und lieferte Gründe für die wildesten Spekulationen. Dienten sie als Zofen der Gräfin, verrichteten sie Küchendienste oder mussten sie dem Grafen und seinen Gästen zu Willen sein? Wurden sie nach einiger Zeit weitergeschickt an andere Höfe? Einige behaupteten, die Gräfin könne keine Kinder bekommen und der Graf würde sich die Mädchen als Mätressen wählen, um einen Erben zu zeugen.
Doch gab es auch weniger erfreuliches Gemunkel – von grausamen Opferritualen für teuflische Dämonen und gierigen Vampiren, die das frische Blut von Jungfrauen liebten.
Schon damals brachten, wie auch heute noch, viele Durchreisende die unglaublichsten Nachrichten aus allen Himmelsrichtungen mit. Die geschwätzigen Postkutscher, die regelmäßig in unserem Wirtshaus Station machten, waren zwar bekannt für ihre maßlosen Übertreibungen, doch vieles wurde von anderen Mitreisenden bestätigt. So warnten sie zu dieser Zeit vor einer räuberischen Horde schwer bewaffneter Reiter.
In moosgrüne Umhänge gehüllt ritten sie auf schwarzen Pferden mit feuersprühenden Augen. Schnell wie der Wind jagten sie durch die Nacht, fielen in die Häuser ein und raubten meist junge Mädchen.
Einige Dörfer organisierten bereits nächtliche Wachen, um ihre Töchter zu schützen. Doch schien dies die Räuber nicht im mindestens zu beeindrucken, im Gegenteil, sie entführten auch die wenigen Mutigen, die sich ihnen in den Weg zu stellen wagten.
Natürlich beunruhigten solcherlei Geschichten auch die Bewohner unseres Dorfes, doch zählten sie auf den Schutz des Grafen. Außerdem wurden diese fürchterlichen Reiter auch nicht in unserer Nähe gesichtet.
Dieser ganze Spuk hörte plötzlich auf, seltsamer Weise zur gleichen Zeit, als auch unser Graf samt Gefolge spurlos verschwand.
Zeit meines Lebens erschien die Burg von jeglicher Menschenseele verlassen und unbewohnt. Hin und wieder streiften Wölfe um die Gemäuer und heulten den Mond an, dass einem das Mark in den Knochen gefrieren konnte. Eulen und Fledermäuse quartierten sich in den Türmen ein, als wachten sie darüber, dass sich auch nicht einmal kleines Wildgetier ansiedeln konnte.
Obwohl die Zugbrücke nicht heraufgezogen sein sollte, wagte es niemand, seinen Fuß in die Burg zu setzen. Man sollte davon ausgehen, dass das Innere unberührt seine Geheimnisse hütet.“

Sichtbar erschöpft hielt die alte Muhme inne. Die Sonne schickte sich an, ihren Tageslauf zu beenden, schon erklomm der noch nicht volle Mond seine Himmelsbahn, als wollte er die Sonne auffordern, das Feld zu räumen.
„Doch seit einigen Tagen geht Seltsames auf dem Felsen dort oben vor sich. Mehr Wölfe als je zuvor sammeln sich, flackernder Lichtschein dringt nachts durch die Bäume. Neblige Schatten schleichen im Mondschein über die Wiesen, verschwinden auf dem gewundenen Pfad zwischen den dichten Tannen. Oft hörte ich die todverkündenden Käuzchen rufen.“
Wie zur Bestätigung ihrer Worte ertönte ein unheimliches „Kiwitt Kiwitt“ aus dem nahen Wald und ließ uns zusammenzucken. Obwohl sich kein Lufthauch regte, lief mir ein eisiger Schauer über den Rücken.
„Böses ist zurückgekehrt! Geht nun nach Hause und gedenkt meiner Worte, wenn in der nächsten Zeit unerwartete Ereignisse über das Dorf hereinbrechen. Mögen sie euch helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Gott schütze euch!“
Mit einem tiefen Seufzer erhob sie sich und schlurfte schwer auf ihren knorrigen Stock gestützt in ihr Haus.
Laut krachte die Tür ins Schloss und erweckte uns aus einer Art Trance. Ein wenig verunsichert rieben wir uns die Augen und verließen wortlos mit einem unguten Gefühl den verwilderten Garten der alten Muhme.
Wir sollten sie nie wieder sehen, sie starb noch in jener Nacht.

Petra Starosky

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Petra Starosky, Jahrgang 1966, und heute unter bürgerlichen Namen Petra Schwarz in Blankenfelde wohnend, stammt aus der niederschlesischen Oberlausitz. Geboren in Bad Muskau, aufgewachsen in Krauschwitz und Sagar verschlug es sie in den 80er Jahren in die Nähe von Potsdam. Als Sekretärin und Bürokauffrau ist Schreiben seit vielen Jahren ihr täglich Brot. Und auch die Idee, einen Roman zu schreiben, hat ihren Ursprung in einer beruflichen Episode. Wenn der Bauträger ein altes Schlösschen kauft und dann mit Fledermäusen zu kämpfen hat, sind Vampire wohl nicht weit.
Ihr Debütroman "Euleborn – verhängnisvolle Neugier" erschien im Mai 2010 im NOEL-Verlag.

Von Petra Starosky