Poker

pokerPoker
– Ein Spielerroman
Edmund Edel   EE0220B
ISBN 9783941670068, Jens-Erik Rudolph Verlag, Paperback, 176 Seiten, € 12,90

 

pokerIn seinen Milieustudien liefert Edmund Edel ein lebendiges Bild der Wilhelminischen und Weimarschen Zeit, insbesondere die Aufbruchsstimmung im neuen Berliner Westen fängt er treffend ein. Die rasant wachsende Großstadt, der sich ständig beschleunigende wirtschaftliche Aufschwung, der Luxus und Glamour in den Salons und Vergnügungspalästen der Hauptstadt bilden den Rahmen seiner Erzählungen.

In "Poker – Ein Spielerroman" (erstmals 1912 erschienen) beschreibt Edel den Konsumrausch der Neureichen, den in sämtliche Lebensbereiche eindringenden glücksspielartigen Spekulationsgeist und das damals grassierende Pokerfieber. Selbst ehrbare Kaufleute und gutbürgerliche Existenzen wurden in den Strudel hineingezogen. Parallelen zum heutigen Kasino-Kapitalismus drängen sich auf.

"Poker" wurde 1928 unter dem Titel "Wenn die Mutter und die Tochter …" verfilmt. Die Hauptrollen spielten Hans Adalbert Schlettow (als Arthur Holzenberger) und Vera Schmiterlöw (als Lilly Flatauer). Regie führte Carl Boese.

Der alte Flatauer saß wie festgemauert vor seinem Loch am Pokertisch und wartete mit Geduld, bis die Karten ihm eine Gelegenheit zu einem Spiel geben würden. Hinter seinem schwarzgeränderten Pincenez lauerte er wie ein Panther, der auf die Beute im richtigen Augenblick springt. Er war ein „Eiserner“. Diese ganze Partie war eine sogenannte „eiserne“.
Die Mehrzahl der Teilnehmer waren solche lauernden Raubtiere, die immer wieder die Karten wegwarfen, wenn sie ihnen keine günstigen Auspizien zeigten. Diese Pokerpartie war gefürchtet im Klub. Nur die geriebensten Spieler maßen ihre Kräfte aneinander.

Wehe dem Fremdling oder dem naiven Neuling, der sich kraft seiner Intelligenz an diesen Pokertisch wagte. Man stürzte sich auf ihn und zermalmte ihn und seine Brieftasche, und er mußte beschämt eingestehen, daß das Pokerspiel immer neue Verlustmöglichkeiten eröffne, und daß es reich an Überraschungen und Enttäuschungen sei.

Der alte Flatauer war ein berühmter „eiserner“ Spieler. Er konnte stundenlang seine fünf Karten verpassen, wenn er nicht wenigstens zwei Paare fand. Er bluffte nicht, er wettete nicht an, er eröffnete selten… er wartete. Er ließ alles auf sich zukommen, und gewann oft oder verlor wenigstens selten. Er verlor nur, wenn ihn das Schicksal narrte und ihm eine Karte schenkte, die gegen die seines Partners um einen Grad schlechter war.Merkte er, daß die Konjunktur nicht günstig war, so stand er auf und spielte nicht weiter; merkte er aber, daß er Glück hatte, so blieb er sitzen und hörte erst auf, wenn der Gewinn sich lohnte.

Mit den Jahren hatte er sich zu dieser eisernen Technik des Spiels durchgerungen. Und nun lebte er recht und schlecht davon. Denn große Umsätze ließen sich trotz allem nicht damit erzielen, weil die Einsätze zuviel Betriebskapital verschlangen.

Sechs „Eiserne“ saßen in einer Ecke des Pokerzimmers. Ein Platz war leer, und auf der Tafel hatte sich niemand vorgemerkt.

Als Holzenberger durch die Klubräume geschlendert war, nachdem er erst beim Ecarté zugesehen, einen Augenblick beim Bac tournant stehen geblieben war und ein wenig mit
Bekannten im Lesezimmer geplaudert hatte, trat er in das Pokerzimmer.

Er hatte keine rechte Lust zu spielen. SeitWochen war er nicht im Klub gewesen, und auch heute abend folgte er nur der Anregung seiner Frau. Wenn er an die Bilanz dachte, machte er sich schwere Sorgen, und er fühlte, daß er wieder von neuem in die Sackgasse geraten werde, aus der er sich durch das unerwartete Erbe hatte retten können.

„Na, Holzenberger“, rief einer von den „Eisernen“, „hier ist noch ’n Platz frei.“

Holzenberger war im allgemeinen ein glücklicher Spieler. Poker hatte er inzwischen gründlich gelernt, und er beherrschte die Feinheiten des Spieles. Er setzte sich hin.

Es war ihm ganz gleichgültig, was er jetzt tat. Nur die Stunden töten wollte er. Durch seinen Kopf tobten die Gedanken wie wilde Pferde, die über die Koppel rasen: Sein Geschäft, die Bilanz, der immense Privatverbrauch seiner Frau, die Liebe zu seiner Frau, ihre abweisende Kälte – – die Sehnsucht nach Ruhe …

„Diener, geben Sie für tausend Mark Chips“, rief Holzenberger. „Wie hoch spielen wir, meine Herren?“

„Wie gewöhnlich, 50 Mark Limit.“

Holzenberger nahm die ersten Karten auf. Er hatte zwei Asse. Er eröffnete mit dem Limit. Der dritte nach ihm doppelte. Holzenberger setzte die Doppelung nach. Dann chipte er an und wurde sofort überschlagen. Die „Eisernen“ hatten ihn in die Scheren genommen. Natürlich war er schlecht. Aber seine Gedanken flatterten wo anders hin. Das Spiel interessierte ihn nicht. Mechanisch griff er zu den Karten und setzte die Jetons an.

Nach einer halben Stunde schon war er „geplatzt“. Kein Jeton fand sich mehr in seinem „Loch“. Er ließ sich von neuem für 1000 Mark Spielmarken holen. Allmählich kam er zur Besinnung. Allmählich schwanden die Gedanken, die ihn beschäftigten aus seinem Vorstellungsvermögen, und seine Gehirnfunktionen konzentrierten sich ganz auf das Spiel. Er fühlte es wie eine Erleichterung, als er diese Ausschaltung wahrnahm. Und nun ergriff ihn ganz das Fieber des Spiels, das Fieber mit dem Auf- und Niedersteigen des Blutes, mit dem angstvollen Krampf, der das Herz umspannt, wenn die Augen glühen und aus den Höhlen zu treten scheinen, wenn die Hände unmerklich zittern, wenn die Zähne aufeinanderbeißen und die Lippen sich wütend nach unten ziehen.

Der alte Flatauer war aufgestanden. Er hatte genug. „Sind Sie satt, Flatauer?“, fragte ironisch der dicke Doktor mit dem großen Schmiß über der linken Backe. Aber Flatauer lächelte und ging ruhig aus dem Zimmer heraus.

Holzenberger arbeitete jetzt mit Hochdruck. Er hatte sich ordentlich „angeschossen“. Dazu verfolgte ihn ein unglaubliches Pech.

„Ihr Glück ist uferlos“, sagte einmal der KommerzienratMiltenbach, als Holzenberger endlich einen Straight gekauft hatte, aber gegen das Full eines andern herunterfiel. Im übrigen wurde so gut wie nichts am Tisch gesprochen. Wie erstarrt saßen die Spieler, und nur die eintönigen Rufe waren zu hören und das Klappern der Zelluloidplättchen. Manchmal unterbrach einer diesen gleichmäßigen Takt, nach dem das Spiel sich abwickelte, durch eine bissige Bemerkung. Sehr selten allerdings. Jeder war zu empfindlich, um bei seinem Pech noch ausgelacht zu werden. Auch liebte man nicht das Lachen in diesen Räumen, in denen die Glücksgöttin gespenstige Tänze aufführte …

Holzenberger wurde unsicher. Es gelang ihm nichts. Auch wagte er zuviel. Sogar auf Bauchstraights ging er mit. Und wunderte sich, daß die Karten ihm nicht gehorchten. Er sah auf die Uhr an derWand. Die Stunden waren verflogen, ohne daß er es merkte. Dann schied einer nach dem andern aus der Partie. Die „Eisernen“ hatten ihr Opfer ausgesaugt.

Als sie nur noch vier Partner waren, kam der Klubwart ins Zimmer und rief: „Eine Bank wird ausgeboten – – wenn die Herren Interesse haben?“ Sofort sprang man von den Pokertischen auf. Holzenberger blieb allein. Er hatte sehr viel verloren und ärgerte sich.


Im Leseraum, den er aufsuchte, ging er mißmutig auf und ab. Er konnte gerade jetzt gar keinen Verlust vertragen. Maillinger kam in diesem Augenblick in den Klub. Er schritt an Holzenberger vorüber und grüßte ihn. Hatte seine Frau ihm nicht von Maillinger etwas erzählt? Seine Frau und Maillinger! Plötzlich fuhr es ihm durch den Kopf, dass ein Zusammenhang zwischen den beiden sein könnte.

Nur für eine ganz kurze Sekunde fühlte er einen Stich im Herzen, etwas Ungewohntes, etwas wie Argwohn. Maillinger blieb bei ihmstehen und reichte ihm die Hand.


„Ich habe eine gute Sache für Sie, Herr Holzenberger, wann darf ich Sie in Ihrem Bureau aufsuchen?“. Äußerst verbindlich sprach der Baron. In ausgesuchte Höflichkeit
kleidete er die konventionelle Redeweise.

Holzenberger war, wie alle Menschen einfachen Charakters, sofort von den liebenswürdigen Manieren des Aristokraten bestrickt. „Bitte, Herr Baron, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung – – wenn es was Besonderes ist?“

„Wir sprechen darüber“, sagte der Baron, verneigte sich und ging in den Bacsaal.

Durch die offene Türe hörte Holzenberger die Stimme des Klubwarts: „Eine Bank zu 1200 Mark!“

„1300 Mark“, rief jemand.

„1500 Mark“, ein anderer.

„Also 1500 Mark!“, sagte der Klubwart und klopfte mit dem Rateau auf den grünen Tisch.

Da trat Holzenberger in den Saal und schrie: „1600 Mark.“

„Herr Holzenberger nimmt die Bank für 1600 Mark“, entschied der Klubwart, und die Spieler setzten sich nieder.

Der Pokerverlust hatte Holzenberger aufgeregt. Ganz gegen seine Gewohnheit war er in Hitze geraten. Noch grübelte er nach, wie er darüber hinwegkommen konnte, denn er wollte nicht wieder dem Spiel verfallen. Er wollte seine Kräfte nicht der Arbeit entziehen.

Aber plötzlich, als er in den Nebensaal blickte, wo die Herren um den langen Bactisch standen, und als er das Ausbieten der Bank hörte, regte sich sein Spekulationsgeist wieder.

Die Minute wollte er auskosten – – – Das Glück sitzt dort auf dem Stuhl vielleicht … Aus dem kleinen Holzkasten, in dem die Karten liegen, fliegt es heraus – – – Wer kann wissen, was die nächste Viertelstunde bringen wird!


Nun ist es doch schon gleichgültig. Die paar Tausend würden die Differenz nicht viel vergrößern. Mut … Oder verlor er die Herrschaft über sich? Schon saß er in der Mitte des Tisches und verteilte die Karten. Der Klubwart ihm gegenüber ordnete die Jetons in kleine Haufen. Die rechte Seite kaufte. Die linke Seite dankte. Holzenberger sah seine Karten an.

„Ich habe acht.“ Der Klubwart riß mit dem Rateau alle Jetons von den beiden Tableaus herunter. Dann ging das Spiel weiter …

Holzenberger gegenüber saß der Klubwart und arbeitete mit der langen Harke auf dem grünen Tisch. Er scharrte die Zelluloidplatten zusammen, er kniffte die blauen Hundertmarkscheine, er schüttete die Goldstücke aufeinander.

Und Holzenberger zog einen Coup nach dem andern. Als der „Schlitten“ zu Ende war, stand er auf. Der Klubwart warf die vielen Jetons, die Banknoten und das Gold in den Panier und reichte ihn Holzenberger hinüber: „32.800 Mark“, sagte der Klubwart.

„Danke“, sagte leise Holzenberger. Er zündete eine ganz große Importzigarre an und rauchte die ersten Züge mit wahrer Wollust. Als wenn er eine schwere Krisis überstanden hätte, so war es ihm. Das Geld bedeutete ihm nichts. Aber daß er das Glück bezwungen, freute ihn und befriedigte ihn. Der alte Flatauer hatte auf einem hohen Kiebitzstuhle hinter seinem Schwiegersohn gesessen und zugesehen. Für heute war er „satt“, wie es im Klubjargon hieß, und er hütete sich, sich wieder etwas abjagen zu lassen.

Er kannte solche Glückszufälle, wie er es eben mitangesehen, aus seinem langen Spielerleben. Er rauchte gemütlich eine Zigarette und schaute zu. Heute rot und morgen tot – – – Die alte Geschichte vom Polykrates, „noch keinen sah ich glücklich enden“. Dem alten Flatauer genügte das Bewußtsein, diese Erkenntnis in sich aufgenommen zu haben. Er wartete ab …

Holzenberger ließ ein Auto kommen und eilte nach Hause. Wie von den Furien gepeitscht, sauste er durch den Tiergarten. Eine Jagd nach dem Glück.

Edmund Edel

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Edmund Edel (1863-1934), war ein sehr vielseitiger Künstler. Nach dem Gymnasialabschluss war der Spross einer in Berlin ansässigen jüdischen Arztfamilie zunächst im kaufmännischen Bereich tätig. Bald entdeckte er aber die schönen Künste für sich. Im Anschluss an eine umfassende Zeichenausbildung in München und Paris kehrte Edel 1892 nach Berlin zurück, um sich zunächst als Illustrator in verschiedenen Zeitschriften (z.B. "Ulk", "Der Wahre Jacob", "Das Narrenschiff") sowie als Plakatmaler einen Namen zu machen. In seiner Zeichenkunst war er stark von französischen Vorbildern geprägt. Der bekannte Maler Henri de Toulouse-Lautrec war in Paris sein Studienkollege gewesen.
Später betätigte sich Edel als Berlin-Feuilletonist in verschiedenen Zeitungen und als Autor selbst illustrierter Romane, welche ebenfalls das gesellschaftliche Leben der Hauptstadt in bissiger Weise aufs Korn nahmen. Außerdem verfasste Edel zahlreiche Drehbücher und führte Regie bei mehreren Stummfilmproduktionen (z.B. "Doktor Satansohn" mit Ernst Lubitsch, "Die Börsenkönigin" mit Asta Nielsen, "Aus Mangel an Beweisen" mit Emil Jannings). Nach Edels Tod im Jahre 1934 wurde sein Nachlass komplett zerstört und sein Werk im Zuge antisemitischer Übergriffe weitgehend vernichtet. Leider fiel dieser originelle Künstler danach lange Zeit dem Vergessen anheim.

Von Edmund Edel